Kreuzwort vom 01.02.2025
Zehn Tage ist nun die Gewalttat im Aschaffenburger Schöntal-Park her. Auch wenn der Alltag der Menschen und das Leben in der Stadt weitergeht, hält zugleich die Schockstarre an. Zumindest bei den betroffenen Familien und dem sozialen Umfeld des getöteten Kindes und des getöteten Vaters. Aber auch darüber hinaus: Es gibt ein kollektives Empfinden einer größeren Gemeinschaft von Menschen – in diesem Fall aller, die mit der Stadt und mit dem Tatort eine gewisse persönliche Vertrautheit haben.
Ich finde es überaus wichtig, dass diese größere Gemeinschaft angesichts so einer schrecklichen Gewalttat und angesichts einer so tiefen Wunde (Main-Echo: „Stiche ins Herz der Stadt“) innehält und ihren gewohnten Alltag unterbricht: Aufstellen von Kerzen, Trauergottesdienst, wortlos beieinanderstehen, einfach weinen, stammelnde Worte des Beistands wie auch professionelle psychologische und seelsorgerliche Betreuung. Das sind gelebte Zeichen des Zusammenhaltens, wozu viele zurecht aufgerufen haben.
Welche Gefühle sind es, die mit der Trauer der ganzen Stadt (und ihres Umfeldes) verbunden sind? Es sind vor allem Ohnmacht und Wut. Das Gefühl der Ohnmacht, eine solche Gewalttat nicht verhindert haben zu können, ist kaum auszuhalten. Dieses Gefühl kann sich unversehens mit Wut vermischen. Nicht nur mit Wut gegen den Täter, sondern auch pauschal gegen Tätergruppen und gegen mangelhafte gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen. Auch der Aktionismus vieler Politiker, die sofort Schlussfolgerungen aus dem Geschehen ziehen, ist eine Reaktion auf diese Ohnmacht. Freilich gehört es zu den Aufgaben der Politik, angesichts solcher Geschehen das politische Handeln zu überprüfen und eine Verbesserung der Zustände zu erreichen, zumal sie von den Medien zusätzlich unter Druck gesetzt werden: „Die Menschen wollen Taten sehen, nicht nur Ankündigungen hören.“ Doch in gewisser Weise gehen beide, Politik und Medien, dem Ohnmachtsgefühl auf den Leim und neigen zu einer Instrumentalisierung des Verbrechens.
Meiner Meinung nach führt kein Weg daran vorbei, dieses Ohnmachtsgefühl auszuhalten und einander in der Trauer beizustehen. Hier ist eine große Gemeinschaft auf die Probe gestellt – so wie es bei familiären Todesfällen, von denen es auch nicht wenige tragische gibt, die kleine Gemeinschaft ist. Dies wird auch in Zukunft nicht anders sein. Denn Unrecht, Gewalttaten, Verbrechen, Amok und Terror werden nicht aus der Welt zu tilgen sein. Im Alten Testament hat die große Gemeinschaft in solchen Fällen zu gemeinsamen Gebets-, Trauer- oder Bußanlässen gefunden, wie es z.B. der Psalm 80 beschreibt: „Gott, tröste uns wieder, und lass leuchten dein Antlitz, so genesen wir.“ Ich wünsche allen Betroffenen in Aschaffenburg Beistand, Trost und Kraft. Und ich bete für sie.
Till Roth, Dekan in Lohr a.Main